Hermann Prüßmann
geb.: 26.11.1899 in Mühlheim/Ruhr
gest.: 15.07.1980 in Wamel/Möhnesee

In dieser Ausgabe unserer Jahresschrift „Use Borger 2007“ wollen wir einen Künstler vorstellen, der in Börger viele Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Radierungen geschaffen hat. Einige davon haben wir in den letzten Jahren schon vorgestellt. Der Maler Hermann Prüßmann war nach seiner Schulzeit und Kaufmannslehre in den Jahren 1916/17 noch Soldat im I. Weltkrieg, und war an der Westfront eingesetzt. Danach besuchte er die Kunstgewerbeschule in Essen. Von 1927 bis 1928 studierte er an der renommierten berühmten Kunstakademie in Dresden. Er war Meisterschüler des berühmten Malers Otto Dix und hat in Dresden sein erstes eigenes Atelier eingerichtet. Im Jahre 1928 heiratete er Luise Burkart. Seit 1932 ist er wieder in Mühlheim ansässig und reist von 1932 bis 1939 jährlich nach Börger ins Emsland. Er logiert in der Gaststätte Belke (heute Klönschnack). Hermann Prüßmann hat sich in die Hümmlinglandschaft und unseren Ort „Börger“ verliebt, denn er kam sieben Jahre hintereinander für ein paar Wochen in Börger, dem wohl typischsten Hümmlingort jener Zeit, um zu malen. Die Kunstsachverständige Dr. Christiane Kerrutt aus Rheine, beschreibt ihn, in ihrem Artikel im JB des EHB 2001 Seite 237, als handwerklich vollendeten Künstler der „Neuen Sachlichkeit“ dessen besondere Ausprägung in den Bildern aus Börger ersichtlich ist. Er selbst berichtet über sich, und seine Zeit in Börger, in der Ausarbeitung „Künstler-begegnungen mit dem Emsland von Eckhard Wagner, 1978“.

Erfahrenes:
- Geboren bin ich im Ruhrgebiet vor der Jahrhundertwende. In einem Industrievorort bin ich aufgewachsen, wo die gute alte Zeit, am heutigen Sättigungsgrad gemessen, gar nicht gut war. Früh offenbarte sich mir die Spannweite der politischen Situation: einmal bei meinem ersten Zeichenversuchen an der Bismarckbüste, die im Elternhaus stand, und ein andermal bei der Betrachtung der Bilder von Marx und Engels, die in alten Bergmannshaus, aus dem meine Mutter kam an der Wand hingen. Ich habe immer von und in der Anschauung gelebt und schildere die frühere Umwelt, wie sie mir, kleine Steine in einem Mosaik, in Bildern gegenwärtig ist und von der, wie mich der Augenschein lehrte, in der grausamen Langeweile moderner Straßenzüge nicht geblieben ist.

Vor der qualmenden Kulisse eines großen Stahlwerkes lagen die Reste alter Bauernhöfe. Der Blick wechselte von kleinen Fachwerkkoten, die eingesessenen Arbeitern und Bergleuten gehörten, zu stuck - überladenen Häusern aus der Zeit um 1900, von zu bürgerlichem Wohlstand gekommenen Metzger- und Bäckermeistern bewohnt. Im Straßenbild gab es viel Farbigkeit. Hinter der schwarzweißroten Fahne marschierte der Kriegerverein. Den mit roten Schärpen gegürteten Mitgliedern des Radfahrclubs flatterte das blutrote Banner voraus. Es gab das neutrale Grün des Schützenvereins und die Farben der Kopftücher, die, bunt wie Ostereier, von den Frauen aus dem Osten getragen wurden.

Für meine Entwicklung war, wie ich glaube bedeutsam, dass zu Hause und auf der Straße plattdeutsch gesprochen wurde, eine von Abstraktionen frei, sachliche und poetisch-nüchterne Art der Mitteilung. Säuberlich davon getrennt war das Hochdeutsche. Der Heiterkeit erregende Mischmasch von „Mangerscher“ Prägung war erst im Entstehen. An der Schule lehrten konservative Reserveoffiziere neben aufgeschlossenen jungen Assessoren, die dem Wandervogel angehörten und Lieder zu Laute sangen.

In der Vielfalt war, mit einem Wort gesagt, nicht perfektioniert, aber alles lebendig.

Nachdem es mir nicht erspart geblieben war an der Somme und am Chemin des Dames in Abgründe zu blicken, und nachdem ich das Schauspiel der Revolution in der ganzen Quere des Vaterlandes erlebt hatte, musste ich meinen Weg suchen. Die schon in den zwanziger Jahren im Schwange befindlichen formalistischen Kunststücke (man nannte sie kunstgewerblich) haben mich nicht interessiert. Im inzwischen akademisch gewordenen Expressionismus der gleichen Zeit gab es echte innere Erregung und viele aufgeputschte äußerliche Aufgeregtheit. Seine barbarische Darstellung, die späteres Unheil ahnen ließ, konnte und wollte ich mir nicht zu eigen machen. Ein dankbar empfangenes Erbe meiner Vorfahren hat mir die Liebe zum guten Handwerk mitgegeben. Diese Liebe allein hat mich später zu Otto Dix geführt. Ich habe mich, damit ausgerüstet, auf den Weg des Maßes und der Klarheit begeben, und ich bin dabei geblieben.

Man möge es meinem Alter zugute halten, dass ich mich allein heutigen Fortschrittsdenken zum Trotz, dazu entschieden habe, an die Harmonie einer unerschöpflichen und nicht ausschöpfbaren Natur zu glauben.

Hermann Prüßmann berichtet über seine Zeit in Börger in der Ausarbeitung „Künstlerbegegnungen mit dem Emsland vom EHB, Eckhard Wagner“ 1978:

Erlebtes:
– Börger in den 30er Jahren. Die geringe Begeisterung an Veranstaltungen der NSDAP rief bald den Unwillen höherer Parteiorgane hervor. Eine der Ursachen war das provokante Desinteresse der Bevölkerung an den Feiern zu 1. Mai. Bei Umzügen bildeten lediglich Lehrer und Schulklassen die „Füllmasse“ hinter den Parteichargen. Und sie waren dazu noch abkommandiert. Am ehesten glaubte man auf Parteiebene, die Leute zur Räson zu bringen, wenn man die Durchführung kirchlicher Feste erschwerte. So gab es in Börger 1934 oder 1935 einen Erlass: zu Fronleichnam hätten die niedrigen Prozessionsfähnchen links und rechts der Straße zu unterbleiben, da durch sie der Automobilverkehr gestört würde. Bei der geringen Verkehrsdichte der damaligen Zeit war die „Notwendigkeit“ dieser Forderung schnell als Repressalie entlarvt. Fronleichnam ohne Fahnenschmuck, das war undenkbar! Man wusste sich zu helfen. Der Tag kam heran, und alle Fähnchen flatterten von hohen Masten. Man sah schon aus der Ferne: Börger feierte doch sein Fronleichnamsfest in alter Weise!

- Moorbrennen! Wie so mancher andere, der fremd in der Gegend, ist auch er darauf hereingefallen. Er war im ersten Jahr seiner Hümmlingaufenthalte. Irgendein Landschaftsausschnitt hatte Hermann Prüßmann beim Durchstreifen der Natur besonders gefesselt, jetzt war er mit dem Fahrrad und allen Malutensilien unterwegs dorthin. Tiefer weißer Heidesand machte die Pedaltreterei beschwerlich. Plötzlich um ihn herum beißender bitterer Qualm. Trotz der weißen Nebel waren in nicht allzu großer Entfernung züngelnde Flammen auszumachen. Dazu spürbare Hitze. – Er dachte an Hilfe, Rettung, Feuerwehr, wendete sein Rad und durchfurchte die Sandstrecke noch einmal. In Börger angekommen und außer Atem rief er den ersten besten zu: „Das Moor brennt! Die Heide brennt! Man muß löschen!“ Die Reaktionen waren ein breites Grinsen und die Erläuterung: „Loat man goaud brännen! Dat habb wi sülw´s moaket! Dat is goaud! Wi möht Boaukwaite seien!“ So zur Ruhe gekommen erfuhr er, dass es die Zeit der Buchweizeneinsaat war, und das man nach alter Sitte das Moor abbrannte. In der warmen Asche des niedergebrannten Moores sät man den Buchweizen, dann wächst er am besten.

- Man ließ den Maler gewähren. Jeder ging seiner Arbeit nach. Man ließ Hermann Prüßmann bei seinen Malerferien in Ruhe. Dem Künstlergast über die Schulter zu gucken, was er da treibe, war selten. So konnte er ungestört schaffen. Dieses schlichte Akzeptiertwerden im ländlichen Alltag hat Prüßmann immer als besondere Draufgabe zur Gastfreundschaft des Börgeraners empfunden. Einmal hatte er sich allein in den Kopf der Ostertmühle in Börger gesetzt, um ein Panorama zu zeichnen. Plötzlich hörte er unten Stimmen und lautstarkes Hantieren, und er bekam es mit der Angst, man könnte unten das Mahlwerk in Gang setzten. Was würde ihm oben wohl dabei passieren? Er streckte den Kopf aus der Luke und machte sich mit lautem Rufen bemerkbar. Da stoben unten zwei Bauern heraus und liefen in die Büsche, gerade so, als säße der Leibhaftige oben in der Mühle!

- Mit Lehrer Suermann in Börger war schnell Freundschaft geschlossen. Sie besteht heute noch. Lehrer Suermann erzählte ihm folgendes, was bis heute in Erinnerung geblieben ist: Anfang der 1930er Jahre war die Grundschule in Börger zu klein und deshalb aufgestockt worden. Der Umbau war beendet, die ersten und zweiten Klassen bezogen die Räume im Obergeschoß. Die breite Treppe war etwas ganz Neues für die Kinder. Nach der ersten Stunde hasteten alle in die Pause über den Flur zur Treppe. Doch da gab es Komplikationen, es staute sich die kleine Menge; einige versuchten die Treppe rückwärts herunterzusteigen! Sie waren es von den Leitern auf den elterlichen Höfen so gewohnt.

- Der Maler Prüßmann wohnte während seiner Aufenthalte in Börger immer im Gasthof Belke (heute Klönschnack) neben der Kirche und dem Pastorat. Hier wohnte man äußerst preisgünstig – auch für damalige Zeiten: Vollpension für 2,50 Mark. Handelsreisenden wurde oftmals sogar nichts berechnet. Der alte Belke betrieb nebenbei noch ein Kolonialwarengeschäft. Richtige Gemischtwarenartikel für den Bedarf der Bevölkerung. Es gab alles. Unter anderem auch Strohhüte. Für die sommerliche Feldarbeit waren neue eingetroffen; zu Türmen gestapelt standen sie auf dem Tresen. Prüßmann, von Hutkäufen seiner Ehefrau sicherlich auch einiges gewöhnt erlebte in Börger den schnellsten Hutkauf. Ein Knecht trat in Belkes Laden, baute sich vor dem Stapel Strohüte auf und deutete mit dem Finger darauf. Belke angelte sich wortlos den obersten Hut vom Stapel und stülpte ihn den Kunden auf dem Kopf. „Paßt!“ – „Kost´t“ war das zweite und letzte Wort bei diesem Handel. Von der erhobenen Fingerzahl las der neue Hutbesitzer den Preis ab, warf das Geld auf den Tresen und ging „!?“